RE: Traumbereich - 7

Ich spürte Distels warme Zunge über meinen Kopf streichen und fing automatisch zu schnurren an. Auch merkte ich, wie sich seine Muskeln unter meiner Berührung langsam zu entspannen begannen, und wunderte mich gleichzeitig, wie gut und echt sich das hier alles anfühlte, obwohl es das niemals sein konnte. Er war tot. Disteljunges war tot und das hier war nur ein Traum. Ich löste mich von ihm, als mir erneut Tränen in die Augen stiegen, und sah ihn ängstlich an, weil das, was ich sagen wollte, ihn vielleicht wieder dazu bringen würde, mich anzuschreien.
"Ich denke, ich will gar keine Schülerin sein... Die anderen Schüler sind ohnehin alle doof und ohne dich..." Ich verstummte.
"Ich hab nicht das Zeug zu einer Kriegerin." Ich seufzte und knetete das überraschend weiche Gras mit meinen kleinen, schmalen Pfoten. Schüchtern schaute ich zu Boden.
"Ich weiß, du wirst es mir glauben, aber ich mag dich, Disteljunges. Sehr. Und bevor du etwas sagst wie, ich bin bloß ein doofes Junges, dass nicht weiß, wie sich so etwas anfühlt, sag ich dir, dass das doch geht. Und ich weiß nicht, wieso ich dir das jetzt sage, vielleicht, weil ich einfach immer zu feige war und mich geschämt habe. Und jetzt bist du ... tot." Meine Stimme brach.
"Ich dachte nicht, dich schon so bald wiedersehen zu können und ich will nicht noch eine Chance an mir vorbeiziehen lassen, ohne dir das gesagt zu haben..." Nun verstummte ich ganz und in mir stritten sich die Gefühle, ob ich lieber vor seiner Antwort aufwachen würde, oder einfach für immer hier bei ihm bleiben wollte.

Ich liess Eulenpfote ruhig ausreden und wartete darauf, dass sie fertiggesprochen hatte. Ihre Worte trafen mich tief und ich blinzelte mehrmals, um aufkommende Tränen zu unterdrücken.
"Eulenpfote", flüsterte ich rau und musste schlucken. "Du bist eine starke Kätzin", fuhr ich nach einem Moment fort. "Du hast ein Leben als Kriegerin mehr verdient als alle anderen, die heute ernannt wurden. Du bist mutig, loyal, stark, geschickt... und so unglaublich rein. Du hast es verdient, glücklich zu sein. Du wirst glücklich sein, wenn du mich vergisst. Und ich wünschte mir, dass ich mehr Zeit gehabt hätte, die ich mit dir verbracht hätte. Ich mag dich auch, Eulenpfote. Aber ich bin tot und du lebst noch - geniesse es, so lange du kannst."
Meine Augen blickten die ganze Zeit ernst, aber in einer viel, viel wärmeren Art als bei anderen. Und mir wurde etwas klar, das ich so lange unterdrückt hatte: ich liebte Eulenpfote. Und ich wünschte mir, es schneller eingesehen zu haben, um sie auch so zu behandeln.

Ich hörte Disteljunges' Stimme ganz nah bei mir und ein wohliger Schauer fegte durch mein Fell. Alles kribbelte. Alles fühlte sich echt an. Real. Und doch war alles eine Lüge. Ich zitterte, denn plötzlich war mir kalt, obwohl ich innerlich eine Wärme spürte. Wie konnte einem innerlich warm und gleichzeitig äußerlich kalt sein? Distels Worte rührten mich und ich sah in seine verräterisch glänzenden Augen. Noch nie hatte ich eine Kater eine Träne vergießen sehen, schon gar nicht wegen mir. Aber wie denn auch, ich war gerade einmal aus dem Jungenalter in das Schülersein gerutscht, meinen Vater kannte ich nicht und meine männlichen Baugefährten - Disteljunges eingeschlossen - waren so zäh und heldenhaft gewesen, wie nur ein Kater, der bloß nicht verweichlicht wirken wollte, sein konnte. Nun stand genau so ein Kater vor mir, und er zeigte Gefühle, für mich. Ich schluckte.
"Ich bin nicht stark. Ich bin viel zu sensibel, um Kriegerin zu sein!", behauptete ich und würde mir das auch nicht ausreden lassen. Plötzlich fühlte ich mich für mein Alter viel zu reif. "Wie soll ich mein Leben nach diesem Treffen hier genießen können?", fragte ich mich, sprach es jedoch nicht aus, da ich nicht wollte, dass Disteljunges sich wegen mir schlecht fühlte.
"Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll. Das fühlt sich wie ein Abschied an. Ein zweiter Abschied, sozusagen. Ein richtiger." Meine Stimme war nur noch ein Murmeln und ich starrte wieder auf meine Pfoten.

Ich schüttelte den Kopf. "Du bist stark, lass dir von niemandem etwas anderes einreden." Als sie fertiggesprochen hatte, seufzte ich schwer. "Das ist es. Vergiss mich Eulenpfote, du hast kein Unglück verdient!"

Ich starrte Disteljunges schockiert an. Ich sollte ihn vergessen? Wie stellte er sich das vor? Das ich nun einfach aufwachen und mich an nichts mehr erinnern würde? Seine Naivität und der Glaube, dass er es besser wüsste, was gut für mich war und was ich verdient hatte, machte mich wütend.
"Du bist ein Mäusehirn. Das warst du schon immer!", fauchte ich, um meiner Frustration Ausdruck zu verleihen. Dann wurde mein Blick schwer und traurig. Ich spürte, wie eine unsichtbare Kraft begann an meinem Fell zu ziehen und mich forttragen wollte. Fort von hier und von Disteljunges.
"Nein... Ich will nicht von hier weg...", miaute ich kläglich, konnte es aber nicht verhindern, dass ich aufwachte.

>> zurück ins Lager? (Außer Distel will noch was sagen was ne Antwort erfordert :))

Ich liess mir nicht anmerken, wie ihre Worte mich trafen. Ich bin kein Mäusehirn!, widersetzte ich mich. Auf keinen Fall! Ich wollte ihr eine kühle Entgegnung entgegenspeien, hielt mich aber zurück. Sie würde gleich aufwachen und ich wollte nicht, dass meine letzten Worte an sie wütend waren.
Traurig schüttelte ich den Kopf, als sie langsam verschwand und wandte den Kopf ab. Ich setzte mich erschöpft an den Rand und wollte mich meiner Fellpflege widmen, konnte mich aber nicht dazu aufraffen. Also sass ich einfach nur mit hängendem Kopf und Ohren da und wartete darauf, dass das schmerzende Gefühl abklang, bevor ich zurück ins Lager gehen würde.

<< Mondstein

Ich schlug die Augen auf und fand mich auf einer sattgrünen Wiese wieder, die mich sofort an die Wiese ohne Bäume in meinem Territorium erinnerte. Die vertraute Umgebung beruhigte meinen Herzschlag, dennoch blieb ich wachsam, denn ich wusste nicht, was mich hier erwarten würde.
"Mein Sohn." Eine vertraute Stimme ließ mich herumfahren und meine Augen wurden groß, als ich die kleine, schwarze Kätzin sofort erkannte, die mich mit warmem Blick willkommen hieß. Unsicher machte ich einen Schritt auf sie zu.
"Mutter?", fragte ich und musterte ihre Figur, ihr Fell glitzerte im Sonnenlicht und es sah aus, als wäre sie mit Sternen übersät. Es war kein Zweifel. Das hier war meine Mutter, die Kätzin, die einst den Himmelclan geführt und mich großgezogen hatte - bis ich unvermittelt verschwunden war. Seitdem hatte ich sie nicht mehr gesehen. Als ich zurückgekommen war, war sie verschwunden gewesen. Nun hatte ich die Gewissheit, dass sie beim Sternenclan lebte. Die anfängliche Verfangenheit fiel von mir ab und ich lief auf sie zu, drückte mich an sie und ein tiefes Schnurren rumpelte in mir.
"Mein Sohn, ich bin so stolz auf dich", miaute Nachtstern an meinem Ohr und ich war so glücklich, dass ich sie fast nicht mehr loslassen wollte. Doch schließlich trat sie einen Schritt von mir zurück, musterte mich kurz, und fuhr dann fort:
"Du bist so groß und stattlich geworden - und hast jetzt sogar eine eigene Schülerin! Sie ist ganz schön eifrig. Passt zu dir." Sie lächelte kurz, doch dann wurde ihre Miene wieder ernst.
"Was ist los? Wieso wollte Schattenstern unbedingt mit euch sprechen?" Ich fühlte, wie ich unruhig wurde. Nachtstern seufzte.
"Gefahr lauert hinter jedem Baum", miaute sie leise.
"Die Streuner? Werden sie uns angreifen?"
"Ich fürchte, euch plagen noch ganz andere Sorgen. Die Blattleere war hart, der Boden ist verschlammt und verstopft mit dem Wasser des Schnees. Der Regen wird nicht abfließen können." Mit großen Augen sah ich meine Mutter fragend an, doch bei ihrer besorgten und entschuldigenden Miene wusste ich, dass ich nicht mehr erfahren würde.
"Was wird geschehen?"
"Mutter... was schlägst du vor?" Nachtstern sah mich hilflos an.
"Tut mir leid, mein Sohn, ich habe schon genug verraten. Beeile dich und warne deine Kameraden! Beschütze die, die du liebst und sag deiner Schwester, wie stolz ich auf sie bin." Ich merkte, wie Nachtstern vor mir langsam verblasste.
"Nein...", murmelte ich hilflos. Ich wollte noch länger mit ihr reden. Ich hatte ihr so viel zu sagen! Ich blinzelte und merkte, wie ich aufwachte.
"Ich werde dich stolz machen, Nachtstern", flüsterte ich, dann verschwamm die Traumwelt vor mir.

>> der Mondstein