Ich jaulte, als Randa es schaffte, sich in meine Pfote zu verbeißen, und schlug mit den rechten Vorderkrallen nach ihrem Gesicht. Genau genommen zielte ich auf ihre Augen. Klar, das war eine ziemlich grausame Attacke - aber bei diesen Katzen gab es keine moralischen Grenzen, und wenn wir sie nicht besiegten, würden sie uns umbringen. Es ging um alles. Ich spürte, wie mehrere Schlammhaufen auf meinem Fell landeten, und konnte von Glück sprechen, dass mein Gesicht verschont blieb.
Bevor ich mich aufrappeln konnte, landete ich mit einem Uff wieder auf dem Boden, denn Randa hatte mir die Pfoten weggeschlagen, und im nächsten Moment spürte ich einen stechenden Schmerz an meinem Ohr. Kurz darauf hörte ich Lavendels Antwort, und fauchte frustriert auf. Die Frustration gab mir neue Kampfenergie, und blitzschnell drehte ich mich auf den Rücken und trat mit den Hinterbeinen heftig in das weiche Bauchfell der halb vor, halb über mir stehenden Randa, in dem Versuch sie ein Stück weg- oder gar umzustoßen. Dann eben gemeinsam. Oh SternenClan, steh uns bei…
Es musste sich um einen Mauseherzschlag handeln, den ich früh genug merkte, dass Randa sich auf mich warf, denn ich konnte mich gerade so wegducken, sodass Randa in die Leere sprang. Ich sah, wie Olaf auf meine Schwester zurannte, und wirbelte Schlamm auf, als ich auf ihn zuschoss. Nicht umsonst war ich eine BlitzClankatze! Ich war schnell! Mit immensem Schwung rammte ich meinen Kopf in Olafs Seite, und stieß ihn somit von Lavendel weg, doch durch den Schwung geriet ich auch selbst ins Stolpern und überschlug mich auf dem Boden. Lauf, Lavendel! jaulte ich meiner Schwester eindringlich zu, während ich mich aufrappelte.
Ich hatte die Ohren gespitzt, daher hörte ich auch ich, als die beiden uns bemerkten. Ein kalter Schauer durchfuhr mich, und Lavendel nahm mir die Worte aus dem Mund. Ich wirbelte herum, rannte jedoch erst los, als Lavendel losgelaufen war. Mein erster Impuls war weglaufen. Doch mein zweiter war stärker. Wenn wir es nicht schafften, würde ich kämpfen und Zeit kaufen. Ich wusste, dass ich zwei Streuner nicht besiegen konnte. Aber ich würde sie kurz aufhalten können.
Fast wäre ich in Lavendel reingerannt, als diese abrupt stehen blieb, doch ich konnte rechtzeitig bremsen, wobei Matsch aufspritzte und in unserem Fell landete. Dann roch ich es auch. Ich erstarrte, und mein Herz gefror. Für einen kurzen Moment, der sich wie eine Ewigkeit anfühlte, schaute ich Lavendel mit schreckgeweiteten Augen an, ohne mich zu rühren, während tausend grausame Gedanken durch meinen Kopf flogen. Dann schüttelte ich den Kopf und duckte mich, doch es gab hier wenig Versteckmöglichkeiten, und die beiden Streunerkatzen mussten sich nur umdrehen, um uns beide zu entdecken. Langsam und leise rückwärts hier weg, hauchte ich meiner Schwester durch den Regen zu, und wenigstens meine Worte wurden um uns herum vom Regen verschluckt. Ich kauerte mich ins zermatschte Gras, und schlich geduckt rückwärts, ohne die Streuner aus den Augen zu lassen.
Ich nickte langsam, wenn auch zögerlich. Ja. Wir sollten nur danach weiter, trotz des Regens. Ich fühle mich nicht wohl bei dem Gedanken, zu lang an einem Ort zu sein, wenn möglicherweise Streuner unserer Spur folgen wollen. Durch den Regen haben sie unsere Spur hoffentlich noch nicht gefunden, aber das kann sich ändern, miaute ich nachdenklich.
Ich zögerte, doch hörte kurz darauf das Magengrummeln. Resigniert seufzte ich, und wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als mir etwas einfiel. Wir sind aber auch blöd, miaute ich leicht grinsend. Dieses Zweibeinergebäude, in dem wir übernachtet haben. Da roch es doch ein wenig nach Maus... Da müssen doch auf jeden Fall Mäuse zu finden sein, meinst du nicht? fragte ich verchmitzt schmunzelnd.
Auch ich hatte Schwierigkeiten, Frischbeute zu riechen. Es war keine Sache der Unmöglichkeit, aber schwierig. Bei Lavendels Vorschlag drehte sich mein Magen um. Ich hatte keinen Fuß in die Zweibeinersiedlung gesetzt, seit Stachelkralle mich dorthin verjagt hatte. Auch da war es nur für kurze Zeit gewesen, und ich konnte auf ein Wiederholungsereignis verzichten. Und auf die Idee, Abfälle der Zweibeiner zu fressen, wäre ich im Leben nicht gekommen. Ich stellte es mir schlimmer vor als Krähenfraß. Doch ich sprach den Gedanken nicht aus. Auch wenn ich Schmerz gewohnt war, auch wenn Hunger nicht unbedingt die bekannteste Form war, Lavendel kam damit wahrscheinlich schlechter klar, und wenn es für sie eine Lösung darstellte, würde ich sie dorthin begleiten. Vage nickte ich. Wenn du das möchtest, probieren wir das, miaute ich zögerlich.
Ich legte den Kopf schief und blickte sie an. In erster Linie Frischbeute? Oder hast du etwa keinen Hunger? fragte ich sie etwas ungläubig. Wir hatten seit dem Weizenlager nichts gegessen, soweit ich mich erinnern konnte. Und abgesehen davon kann man nie aufmerksam genug sein, wenn man von Streunern gejagt wird…
Der Regen hatte sich mittlerweile tief durch mein Fell gegraben, und obwohl ich mit Absicht zügig gelaufen war, zitterte ich mittlerweile etwas vor Kälte. Heute war an diesem Ort absolute Stille. Aber das überraschte mich nicht, ich hatte, seit ich beim BlitzClan war, kaum einmal Zweibeiner hier gehört. Die wenigen Male war die Lautstärke aber selbst an der Grenze zum Territorium ohrenbetäubend gewesen. Doch nun war nichts los. Ich warf einen Blick zu meiner Schwester, um mich zu versichern, dass alles gut war, dann witterte ich. Irgendwelche Frischbeute musste hier doch zu finden sein... Selbst bei dem Regen...
Schmerz blitzte bei ihrem Tonfall in meinem Blick auf. Mir war bewusst, was in ihrem Kopf vorging. Ich wandte den Blick ab und schaute durch eine Öffnung nach draußen. Es regnete. Viel lieber wäre ich im Trockenen und Warmen geblieben, vor allem um Lavendels Willen. Doch es war zu gefährlich, besonders so einen geschützten Ort würden sie nach uns absuchen. In Richtung der Rennbahn. Wenn da keine Zweibeiner ihr Unwesen treiben, kann man dort jagen... murmelte ich schließlich. Ich warf ihr einen kurzen, entschuldigenden Blick zu, dann lief ich vor ihr nach draußen.
Oder vielleicht doch... Immer und immer und immer wieder die gleichen Fehler... Doch ich sprach es nicht aus. Ich gab Lavendel einen Moment, in dem ihre Nase einfach mein Fell berührte. Mein gesamter Körper schrie danach, sie nie wieder von meiner Seite zu lassen, mich an sie zu kuscheln und an nichts zu denken. Gleichzeitig wollte ich sie mit all meinen Sinnen so weit wie möglich von mir schieben. Sie so weit wie möglich fortschicken, damit ich sie nicht weiterhin in Gefahr brachte. Sie hatte mich erst vor ein paar Tagen gefunden, und schon war sie meinetwegen in Lebensgefahr. Doch ich hörte auf keines, der beiden Gefühle. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter und räusperte mich. Wir müssen hier weg. Wir müssen in Bewegung bleiben, sonst finden uns Randa und Olaf, miaute ich etwas erstickt und drehte meinen Kopf so, dass ich sie ernst anschauen konnte.
Ich schaute in ihre türkisfarbenen Augen, als sie anfing zu sprechen, und hörte ihr aufmerksam zu, wobei die Tränen langsam weniger wurden. Es tat gut, diese Worte zu hören, ja es wärmte die eisige Kälte in mir etwas auf. Und wahrscheinlich hatte sie recht, insbesondere mit einem Teil. Ich würde nicht aufgeben. Ob es eine Entwicklung in meinem Leben, oder von vorne herein angeboren war - ich war eine Kämpfernatur. Und ich würde nicht zulassen, dass mich irgendjemand endgültig besiegte. Ich würde weiterkämpfen. Doch eine Sache konnte ich nicht ignorieren, und ich konnte sie nicht weiter vor Lavendel verheimlichen, nicht so wie sie von mir dachte. Ich rückte von ihr ab. Wenn du wüsstest, was damals passiert ist, würdest du nicht so gut von mir denken, miaute ich leise, und senkte danach den Blick. Noch bevor ich Stachelkralle überhaupt kennengelernt habe. Und selbst danach - egal wie schlimm das eigene Leben ist, es rechtfertigt nicht jede Tat…
Die Wärme, die Lavendel auf mich übertrug, als sie sich an mich drückte, ließ die Tränen nun doch meine Wangen hinabfließen. Seit Tagen... Nein seit Wochen, seit Monden habe ich nicht eine Nacht ruhig geschlafen. Jede Nacht sucht mich Stachelkralle im Schlaf heim, und wenn nicht er, dann Papa oder Mama. Und seit einiger Zeit- Ich stockte, ich hatte Angst, dass sie mich gleich für völlig verrückt hielt. Du weißt doch vom SternenClan, oder? Die toten Ahnen der Clankatzen. Es gibt da, wo der SternenClan ist, auch noch einen anderen Teil. Einen dunklen. Die bösen Katzen kommen dorthin. Die Streuner, die den Clans schaden wollen, Katzen wie Stachelkralle oder andere Verräter. Ich schluckte. Und eines Tages ich... Der Anführer dieser Welt heißt Feuerseele. Er hat mich im Schlaf besucht. Er- Ich kann nichts dagegen tun. Er holt mich zu sich wann er will und lässt mich Sachen machen, die ich gar nicht will. Wegen ihm wusste ich, dass Olaf und Randa uns finden würden. Aber im Gegenzug sollte ich dafür sorgen, dass er Hasenröte zu sich holen kann. Ich wollte das nicht... Aber ich habe sie eine Lüge über den SternenClan erzählen lassen und ich glaube das hat gereicht. Sie war auch im Dunkelwald heute Nacht, erzählte ich ihr, und die Verzweiflung war langsam überwältigend. Die ganze Zeit versuche ich, alles richtig zu machen. Seit ich beim BlitzClan war, habe ich versucht mich gegen Stachelkralle zu wehren, dem Clan zu helfen. Stattdessen verlasse ich den Clan und lasse Hasenröte zurück. Dann liefere ich Hasenröte dem Dunkelwald aus, um unsere Haut zu retten, und es ist nicht mal sicher ob das klappt! Meine Stimme war immer aufgebrachter, doch plötzlich wurde ich ganz ruhig und blickte Lavendel ernst an. Ich bin nicht besser als Stachelkralle. Ich habe es mir die ganze Zeit eingeredet, aber ich muss endlich zugeben, dass er aus mir genau so eine Katze gemacht hat, wie er ist. Eine Katze die über Leichen geht, um ihr Ziel zu erreichen. Eine Katze des Dunkelwaldes. Ein Teil des Bösen. Lavendel, ich bin keine gute Katze... miaute ich leicht kopfschüttelnd. Ich wollte einfach nur noch aufgeben. Ich konnte nicht mehr gegen die dunkle Seite ankämpfen. Es wäre so viel einfacher, einfach nachzugeben. Zu tun was Feuerseele wollte. Einfach in Frieden zu leben. Das war das einzige, was ich gerade wollte...